1200 Jahre Schaafheim - Führung Jüdische Geschichte

Es ist Punkt 10 Uhr an einem sonnenreichen Samstagmorgen, als Heike Gehrig, die Hauptorganisatorin der Schaafheimer 1200 Jahrfeier, etwa 40 Interessierte und den Referenten im Löwenhof begrüßen kann.  Im Gegensatz zum Nachtwächterrundgang vor einer Woche wird der Schwerpunkt dieses Ortsrundganges nicht das Schaffen nächtlicher Ruhe und Ordnung in der Gemeinde sein, sondern ein eher weniger bekanntes Kapitel der Ortsgeschichte.

Das Thema des Ortsrundganges an diesem Morgen ist die Geschichte der ehemaligen jüdischen Gemeinde, die in Schaafheim vor dem II. Weltkrieg schon länger als 400 Jahre bestand.

Die Führung übernimmt diesmal der ehrenamtliche Gemeindearchivar Wolfgang Roth, der ebenso wie der kürzlich als Nachtwächter tätige Eicke Meyer Mitglied im Schaafheimer Heimat- und Geschichtsverein ist.

Man merkt sofort, der Vortragende kennt sich aus. Fast ohne Nachzudenken purzeln präzise Jahreszahlen über seine Lippen. Wolfgang Roth ist bestens vorbereitet: Aus seinem reich bebilderten Ordner kann er immer wieder Schätze aus den Archiven zeigen. Gleich am Anfang des Rundganges kann er mit einer Kopie einer Urkunde von 1609 begeistern, in der es Juden formell gestattet wurde, sich in Schaafheim anzusiedeln.  Man muss aber wissen, so Roth, dass man sie einige Jahre vorher alle ausgewiesen hatte und sie die Erlaubnis zur Neuansiedlung nunmehr außerordentlich teuer zu bezahlen hatten.

Jüdische Mitbürger sind in Babenhausen dagegen schon 1318 erwähnt, wohl vor allem wegen der besseren Handelsmöglichkeiten, da ihre Berufsmöglichkeiten Großteils auf Handelsberufe (z.B. Viehhändler, Warenhändler) beschränkt waren. Die Schaafheimer jüdische Gemeinde war immer klein und wenig begütert - um 1800 finden sich weniger als 15 Familien, beispielsweise die Familiennamen Fuld, Rothschild und Lehmann. Der Rundgang streift viele ehemalige Wohnhäuser dieser Familien. Es wird schnell deutlich, dass sich niemand in ehemaligen Besitzern von Grundstücken und Häusern besser auskennt als Wolfgang Roth, der schon detaillierte Berichte zu ganzen Straßenzügen in dieser Zeitung veröffentlich hat.

Roth weist beim Rundgang auch noch auf zwei ehemalige Mikwen (Tauchbäder, deren Wasser zu rituellen Waschungen diente) in Kellern von Häusern in der Wilhelm-Leuschner-Straße und Spitzengasse hin, bevor die Gruppe schließlich am Fuß der evangelischen Kirchentreppe halt macht.

Vor der Säule an der Gedenktafel für die jüdischen Mitbürger stehend, kommt die Sprache auf die Synagoge im Hof eines landwirtschaftlichen Anwesens in der Spitzengasse. Der Name lässt jedoch mehr vermuten,  als tatsächlich dort vorhanden war: Wie erwähnt war die Schaafheimer jüdische Gemeinde nicht wohlhabend und hatte Mühe, das im Innenhof eines Anwesens 1840 errichtete Bethaus, das nur etwa 5x6 Meter maß, finanzieren zu können. Die nach jüdischer Tradition getrennt sitzenden Frauen konnten ihre Plätze auf der Empore nur über eine Außentreppe erreichen.

Die Nacht vom 9.-10.November 1938, die "Reichskristallnacht", ging auch an Schaafheim nicht ohne Spuren vorbei: Nach hetzerischen Aufrufen durch führende NSDAP-Mitglieder im Ort zog eine Meute vom Gasthaus Ochsen zur Synagoge. Wie auch in anderen Gemeinden wurde die Aktion auch in Schaafheim später als "spontane Volkserhebung" erklärt. Die Synagoge rette damals vermutlich nur, dass man sich scheute, in der eng bebauten Ortsmitte mit Feuer zu hantieren. So wurde "nur" die Einrichtung der Synagoge beschädigt und viele Häuser jüdischer Mitbürger beschmiert. Dieser Tag markierte das Ende der jüdischen Gemeinde in Schaafheim. Einige jüdische Mitbürger konnten danach noch rechtzeitig auswandern, andere wurden in den nachfolgen Jahren deportiert und kamen in verschiedenen Konzentrationslagern um. Im Jahr 1953 wurden die letzten Reste der Synagoge - zu dieser Zeit als Lagerhaus genutzt - abgerissen.

Von der Synagoge ist nur noch die Stütze der Frauenempore übrig, die heute als Mahnmal am Aufgang der evangelischen Kirche steht - und auch diese blieb nur durch einen glücklichen Zufall erhalten:

Im Jahr 2013 entdeckt Eicke Meyer, damals Vorsitzender des HGV, auf dem Foto eines Kellergewölbes eine seltsame Sandsteinsäule. Nach seinen Recherchen  entpuppt sich diese Stützsäule im Keller als eine ehemalige Tragesäule der Frauenempore. Durch beharrliches Nachhaken und tatkräftige Hilfe der Gemeinde erreicht Meyer, dass diese Säule durch den Besitzer des Anwesens gestiftet und durch die Firma Marmor-Zahn an der Pfarrgartenmauer neben der 1998 errichteten Gedenktafel für die Schaafheimer Juden aufgestellt wird. Im Jahr der Aufstellung der Säule, dem 75. Jahrestag der "Reichskristallnacht", richtet das Ehepaar Werner und Elsbeth Kreh in der Alten Kapelle die Ausstellung "Sie waren Einwohner in Schaafheim" in Gedenken an die ehemaligen jüdischen Gemeindemitglieder aus.

Am Schaafheimer Marktkreuz findet der Rundgang schließlich sein Ende und Wolfgang Roth zeigt noch einige Zeichnungen und Pläne aus seinem reich bebilderten Ordner, nur wenige Meter vom Originalstandort der ehemaligen Synagoge entfernt. Dem Referenten sei an dieser Stelle nochmals herzlich für seinen Vortrag gedankt.

Text: Dr. Mirko Kreh, Heimat-und Geschichtsverein Schaafheim

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